24. Februar 2017, «Streit um Werte»

«Streit um Werte»

Themenabend im Restaurant Obergass, Winterthur
Philosophin Prof. Dr. Annemarie Pieper spricht über den Wertewandel in der Gesellschaft.

Werte sind für den Zusammenhalt einer menschlichen Gemeinschaft unverzichtbar. Sie binden egoistisches, auf die eigenen Interessen fokussiertes Handeln an allgemein verbindliche Massstäbe. Diese zu befolgen, ist von jedem Mitglied der Gesellschaft gefordert. Je höher Individualität und Pluralität geschätzt werden, desto stärker wächst die Spannung zwischen Ich und Wir. Deswegen sind moralische und rechtliche Normen notwendig, die den zwischenmenschlichen Umgang regeln und der Solidarität einer Wertegemeinschaft Rückhalt verschaffen.

Was ist ein Wert?

Das Wort «Wert» hat eine materielle und eine immaterielle Bedeutung: Eine Ware, die etwas kostet, muss ihren Preis wert sein. Der Wert einer Person besteht in ihrer Menschenwürde, die weder angeboren noch erworben ist, sondern auf der Einsicht beruht, dass jedes menschliche Wesen als solches gleich viel wert ist.

Woher kommen unsere Wertüberzeugungen?

Christliche Werte: In der abendländischen Kultur wurden über Jahrhunderte die Werte für das Handeln auf den Willen des Schöpfergottes zurückgeführt.
Naturwissenschaftliche Perspektive: Der Urknall bildet den Anfang der Evolution. Der Prozess der Evolution vollzieht sich zweck- und wertfrei nach dem Zufallsprinzip. Daher wird der Mensch zum Wertschöpfer, der nach Absicht und Plan handelt.

Wie gehen wir mit dem Wandel von Wertvorstellungen um, der häufig zu Konflikten zwischen den Generationen führt?

Da das Wertespektrum eng mit dem Freiheitsverständnis verbunden ist, können mit neu erschlossenen Freiheitsspielräumen traditionelle Werte ihre Orientierungskraft verlieren und entweder durch neue Werte ersetzt oder umgewertet oder ersatzlos gestrichen werden.

Haben wir Gründe unsere Werte gegen andere Kulturen zu verteidigen, oder räumen wir besser einen Werterelativismus ein?

Das abendländische Wertesystem hat sich langen Freiheitskämpfen durch emanzipatorische und aufklärerische Bemühungen herausgebildet und bewährt. Die Freiheitsrechte werden deshalb über alle Grenzen hinweg jedem menschlichen Wesen zuerkannt, unabhängig davon, ob der universell für die Menschenrechte erhobene Geltungsanspruch de facto von allen geteilt wird oder nicht.

Welche Werte erachten wir in einer demokratischen Gesellschaft als unabdingbar?

In westlichen Gesellschaften besteht ein weit gehender Konsens hinsichtlich Menschenwürde. Dieses lässt sich in drei Gruppen von Werten unterteilen, die voneinander abhängig sind und in einer Prioritätenordnung stehen: Die ethisch-demokratischen Grundwerte fundieren die moralischen und die ökonomischen Werte. Keine der drei Wertgruppen darf von den anderen beiden isoliert und absolut gesetzt werden. Sonst entsteht entweder ein Fundamentalismus, der fanatisch das vermeintlich für alle Gute mit Gewalt durchzusetzen versucht; oder ein rigoroser Moralismus, der den individuellen und nationalen Egoismus radikalisiert; oder ein hemmungsloser Ökonomismus, der sich grenzenloser Profitsteigerung auf Kosten des sozialen Wohles breiter Bevölkerungsschichten verschreibt.